Plattform 4 «Lügen»
FREIHEIT ZUR LÜGE
Worüber reden wir, worüber reden wir nicht? Worüber reden wir, wenn wir nicht darüber reden? Wenn wir vereinfachen, unaufrichtig oder schwammig sind, irreführende Vergleiche anstellen, schiefe Bilder zeichnen, laid-back das Auseinanderklaffen zwischen Gesagten und Gemeinten akzeptieren. All die unfertigen Bekenntnisse, Gedanken, Sätze – zielen die überhaupt auf Wahrheit? Sind wir bei der Sache? Wollen wir die Wahrheit wissen? Bullshit! Der Ruf nach Fakten, gefühlige Reportagen, die heisse Luft der News. Lügen über Lügen, wo man hinschaut. Welche Zeitverschwendung – die Mülltrennung zwischen halbfalsch und unerträglich. Das nervt. Und am meisten nerven die eigenen Lügen. Lügen hat mindestens zwei Seiten. Es kann verletzen, kränken, schockieren, ganz banal sein oder richtig tödlich. Aber es verschafft auch Zutritt in eine Welt, die sich unserem vorsichtigen höflichen Leben voller Kompromisse widersetzt.
Was ist denn keine Lüge? Wir investieren manchmal für unsere Lügen viel Lebenszeit. Die nennt man dann Lebenslügen. Wohlig umgeben von dem noch grösseren löchrigen Zusammenhang, der Historie heisst oder Weltgeschehen. Wer schreibt eigentlich welche Geschichte und wer setzt welche Geschichte durch? Und welche Nachrichten gelangen zu uns ins Wohnzimmer? Per Privatfernsehen oder durch die Öffentlich-Rechtlichen. Twitter und Youtube erhöhen den Zufluss. Wer berichtet glaubwürdig über die fernen Regionen und Kriege? Und unten laufen Dow Jones und Werbung als Dauerzustand.
Genug der Ehrenworte: Der Fall Hildebrand 2012. Der Fall Mörgeli 2013. Der Fall Uli Hoeneß 2014. Das Lügen-Mass war voll. Man distanzierte sich, man empörte sich. Für einige Wochen bestimmten die Fälle die gesamte Presselandschaft und private Gespräche. Sie wurden in Real Time auf iPhones, iPads und mündlich verbreitet. Uli Hoeneß konnte mit seinem Gang in den Knast die öffentliche Lügenordnung wieder herstellen: Er wird zurückkommen als vermögender Ehrenmann. Sein Opfer war das Gefängnis. Nun kann er wieder den kleinen Mann repräsentieren – eine sportliche Vorstellung von Demokratie und akzeptierter Kapitalverteilung. Lügen sind nicht nur das Gegenteil von Wahrheit. Sie sind manchmal auch die andere Seite der «falschen Wahrheit».
Wie viel Lüge ertragen wir? Welche Lüge provoziert? Wie scharf muss die Lüge sein, damit nicht nur Politikverdrossenheit dabei herauskommt? Achtung: Die echte Lüge ist in Gefahr. Sie ist in die Fänge der auf Skandal getrimmten Umsonst-Blätter geraten. Sie verklebt sich auf den Propaganda-Plakaten diverser Unternehmen und Parteien. Sie versteht Spass und kommt nicht mehr aus dem Fernseher heraus. Sie will uns etwas verkaufen. Sie will uns für blöd verkaufen. Also hinein in die Desillusion? Vielleicht lieben wir die Geliebten nur manchmal und vielleicht nicht für immer.
Aber definitiv lieben wir Filme und Bücher und grossartige Geschichten. Erfindungen. Die Lüge kann ihr Vermögen wiedergewinnen. Wir brauchen zweite Welten. Hannah Arendt schreibt in ihrem berühmten Essay über «Lüge in der Politik»: «Die bewusste Leugnung der Tatsachen – die Fähigkeit zu lügen – und das Vermögen, die Wirklichkeit zu verändern – die Fähigkeit zu handeln – hängen zusammen: Sie verdanken ihr Dasein derselben Quelle: der Einbildungskraft.»
Und das ist die neue alte Lüge, die uns am Theater Neumarkt in der Spielzeit 14/15 in den Bann zieht. Wenn man sich jenseits moralischer Entrüstung mit der Lüge beschäftigt, erscheint sie als grosse, unkontrollierbare Kraft – eben als Einbildungskraft, von deren Ausschweifungen auch das Theater lebt. Vom Lügen zu erzählen, heisst, vom Stand unseres Zusammenlebens zu erzählen. Die Aufklärung hat den Menschen ein schweres Los gebracht. Brüchig ist unsere Selbsterfahrung und kein Gott leitet unsere Geschicke. «Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!» An die Wahrheit oder an die Lüge? An welche? Seien wir genau. Lügen führen uns an die Grenze unserer Realität. Sie sind unendlich.
Ihr Theater Neumarkt
Saisoneröffnungs-Premiere
Fr 26. September, 20.00 Uhr, Saal
Komödie von Martin Heckmanns
Neu bearbeitet für das Theater Neumarkt
Regie: Simone Blattner
Bühne: Nadia Fistarol
Kostüme: Sabin Fleck
Dramaturgie: Inga Schonlau
Mit: Simon Brusis, Martin Butzke, Anna Grisebach, Maximilian Kraus, Janet Rothe
Sa 04. Oktober, 20.00 Uhr, Saal
Ein Theaterstück von und mit jungen Erwachsenen, SeniorInnen, Schauspielern und Lügenprofis
Regie: Uta Plate
Bühne: Nadia Fistarol
Kostüme: Sabina Winkler
Dramaturgie: Ralf Fiedler, Fadrina Arpagaus
Trailer: Elvira Isenring
Künstlerische Mitarbeit: Irina Amstutz, Dominik Busch, Annina Dullin-Witschi, Thea Henzi
Produktionsleitung: Eva Heller
Regieassistenz: Annina Dullin-Witschi
Bühnenbildassistenz: Léonie Süess
Regiehospitanz: Irina Amstutz
Dramaturgiehospitanz: Dominik Busch, Thea Henzi
Bühnenbildhospitanz: Noemi Baldelli
Kostümhospitanz: Christina Weber
Mit: Yanna Rüger *, Dimitri Stapfer, Jugendliche , Seniorinnen, Lügenprofis
Fr 17. Oktober, 20.30 Uhr, Chorgasse
Eins:Eins
von Max Frisch
Einrichtung: Ralf Fiedler
Raum: Léonie Süess
Einmalige Effekte und Personal Coaching: Andreas Bögli
Mit: Martin Butzke
Sa 25. Oktober, 20.30 Uhr, Chorgasse
Eins:Eins
nach Ovid
Regie: Laura Koerfer
Raum: Léonie Süess
Mit: Yanna Rüger *
Do 06. November, 20.30 Uhr, Chorgasse
Eins:Eins
Regie: Johann Kuithan
Raum: Léonie Süess
Sa 15. November, 20.00 Uhr, Saal
Von William Shakespeare
in der Übersetzung von Thomas Brasch
Regie: Pedro Martins Beja
Bühne: Nadia Fistarol
Kostüme: Sabina Winkler
Musik: Jörg Follert
Video: Elvira Isenring
Dramaturgie: Fadrina Arpagaus
Mit: Martin Butzke, Christian Bayer, Nicola Fritzen, Janet Rothe
Mi 26. November, 00.00 Uhr, Saal
Gastspiel Theater Sgaramusch - Kinderstück für alle ab 7 Jahren
Regie: Carol Blanc
Dramaturgie: Urs Bräm
Ausstattung: Renate Wünsch
Produktionsleitung: Ariane Waldvogel
Musik: Simon Hari
Mit: Theater Sgaramusch
So 30. November, 20.30 Uhr, Chorgasse
Eins:Eins
Ein Abend mit Falco
Regie: Johann Kuithan
Raum: Léonie Süess
Mit: Maximilian Kraus
Extras
Die Stunde der Profis
Moderation: Charles Linsmayer
Vortrag und Gespräch in Englisch
Streifzug in Kooperation mit der WOZ
Theater Neumarkt & Dinghy in Kooperation mit DAS MAGAZIN
Jazzige Volksmusik
Eine Lesung aus den Akten der Staatsanwaltschaft
Werkstattaufführung