OH MARKT / NO MARKT
Liebe Zuschauer,
seit über Jahren bietet die Theater Neumarkt im
traditionellen Ambiente eines ehemaligen Zunfthauses
zeitgenössisches Theater und Raum für experimentelle
Kunst. Umgeben von Schweizer Handwerkstradition und
orientalischen Teppichverkäufern können Sie sich
bei uns zurücklehnen und einmal jenseits der
Einkaufshektik und des Alltagsstresses Ihren
seelischen Frieden finden, oder sich hier und da
anregen lassen und im Anschluss an
kulturkritische Abende einen guten Rotwein geniessen.
Wir versprechen Ihnen starke Schauspieler,
authentisches Personal und grosse Stoffe.
Liebe Zuschauer,
so wollen wir nicht anfangen. Daher widmen wir uns in der dritten Plattform dieser Spielzeit diesem Thema, dem man sich nicht entziehen kann: dem Markt. Zunächst verorten wir uns: Wir befinden uns am Theater Neumarkt mitten im Niederdorf von Zürich, also in der Geschichte von Handwerk, Handel, Tausch, Angebot und Nachfrage. Wo befinden Sie sich? Wo stehen Sie?
Schön wäre es, wenn wir als Theater einfach einen besonderen Stand einnehmen könnten. Wenn wir Sie einfach einladen könnten, zu uns an den ganz anderen Ort zu kommen, in einen Raum, der vom Markt und seinen Gesetzen ausgenommen wäre. Eine Art Jenseits im Diesseits. Immer wieder neue Gesichter, neue Geschichten, ein bisschen Empörung, ein wenig Dionysisches, ein lustiges Völkchen, La Bohème, das Treiben ins Bunte hinein, oder tiefer ins Blaue, ein Fest– ein Versprechen auf eine Entfesselung, die der Alltag nicht zu bieten hat und nicht zulassen würde – kurz: Lust, Liebe. Und natürlich auch Witz und Intelligenz. Aber dann gleich wieder: Lust und Liebe. Anders gesagt, eine schöne Projektion, die auch Theatermacher luftig ausschmücken oder mit schweren Begriffen aufgerüstet zum Besten geben. Aber mal ehrlich: Harmlosigkeitsverdacht. Harmlosigkeitsverdacht!! Wieso sollte das Theater, die Kunst und ihre Künstler der Ökonomie gedanklich, psychisch, praktisch enthoben sein? Andere, dritte, vierte, x-te Möglichkeitsräume aufzutun, gar das Utopische greifbar, zumindest denkbar zu machen, ist eine starke Vorstellung. Aber auch die lässt sich vermarkten, als Nischenprodukt.
OH MARKT / NO MARKT behauptet nicht, dass es um eine einfache Alternative ginge, zu der wir uns frei entscheiden könnten. Unser Theater ist Ihr Theater. Und wenn das Theater ein Spiegel der Gesellscha sein soll, dann müssen wir uns darin gegenseitig anschauen. Oder wir schreiben bald Werbetexte wie oben.
Wir befinden uns im Diesseits, Theater ist kein zweckfreier Raum. Theater erschafft unter «normalen» Produktionsbedingungen (d.h. niedrige Löhne, Leidenschaft, Zeitdruck, Konkurrenz etc.) ein Produkt, das die Hoffnung nährt, dass es ein Jenseits von Marktbedingungen gibt. Das gilt gemeinhin als Luxus der Theaterschaffenden, weil sie ja das machen, wozu «sie Lust haben».
Wir möchten in dieser dritten Plattform nichts als selbstverständlich nehmen, auch nicht den Ort, an dem wir Theater machen. Wir möchten das Theater nicht ins Jenseits befördern oder gemeinsam mit dem Niederdorf die pittoreske Idee von traditionellem Handwerk, Qualität und Originalität aufrecht erhalten. Wie überall anders auf der Welt kann man hier in Ketten einkaufen. Wir wollen auf das sich Widersprechende zeigen, den Widerspruch aushalten. Ihn hervortreiben. Darstellen. Neu verhandeln.
Die Plattform OH MARKT / NO MARKT schafft Zeit und Raum für öffentlichen Widerspruch, auch in unseren Stücken und Vorhaben. Wir beginnen mit Oberwelt/Untergrund: Das Berliner Puppenkollektiv kommt mit Puppen und Kisten von Material aus der Grossstadt und baut in Zürich den fiktiven Sündenort «Syn City – Stadt, die nicht sein darf» – ein modernes Babylon voller Geschichten von Liebe und Schuld, Sühne und Rache. Europa/Schweiz: Der in Basel lebende Regisseur Christoph Frick und die Schweizer Musiker Martin Schütz und Bo Wiget nähern sich der Stadt Zürich über ihr neues Einfallstor, die Europaallee, und sucht im Mai mit Musikern, Schauspielern und Architekten nach dem Sound der Stadt, die nicht unbedingt im Herzen der Schweiz, aber sicher im Herzen Europas liegt. Kunst/Leben: Im Juni inszeniert Peter Kastenmüller Michel Houellebecqs grossen Roman «Karte und Gebiet» als Schweizer Erstaufführung, in der Kunst als Heilmittel gegen das Leben erprobt wird.
Ihr Theater Neumarkt